«Wir müssen etwas verändern»

01.11.2023 | Timo Züst
grenzstein
Nicht leicht zu finden, aber noch immer am richtigen Ort: Einer der verbliebenen Grenzsteine zwischen Speicher und Teufen. Foto: tiz

Am 26. November steht eine wegweisende Entscheidung an. Die Ausserrhoder Stimmbevölkerung wird gefragt, wie der Kanton in Zukunft aussehen soll. Der Regierungsrat schlägt einen Strukturwandel und eine Reduktion von heute 20 auf neu 3 bis 5 Gemeinden (Gegenvorschlag) vor. Demgegenüber steht der Eventualvorschlag. Dieser will Fusionen zwar ermöglichen, aber nicht vorschreiben. Was sagt Gemeindepräsident Reto Altherr zu dieser historischen Abstimmung?

Die Stimmen der Ortsparteipräsidenten Marco Sütterle (FDP), Felix Leu (SP) und Fredy Bressan (SVP)  finden Sie unten.

Im Vorfeld der Fusions-Abstimmung wird vom wichtigsten Urnengang seit der Abschaffung der Landsgemeinde gesprochen. Sehen Sie das auch so?

Das ist wirklich eine sehr, sehr wichtige Abstimmung. Ihr Ausgang wird die politischen Verhältnisse in unserem Kanton grundlegend beeinflussen – bis weit in die Zukunft.

Die Kantonsregierung sagt aber gleichzeitig, dass sich das Leben in den jeweiligen Dörfern auch bei Gemeindefusionen nicht allzu sehr ändern wird. Ist das nicht ein Widerspruch?

Ich bin nicht der Meinung, dass sich nichts ändern wird. Die Denkweise innerhalb einer grösseren Gemeinde ist automatisch eine andere. Man ist dann schlicht nicht mehr so nahe dran. Bei einer fusionierten Gemeinde mit über 10’000 Einwohnenden müsste man beispielsweise über ein Gemeindeparlament nachdenken.

Wären Sie als Teufner Gemeindepräsident nicht vielleicht manchmal auch froh um etwas mehr Distanz?

Sehr selten. Die Nähe ist in fast allen Fällen ein grosser Vorteil. So kenne ich die lokalen Umstände und Verhältnisse, kann Meinungen antizipieren und einordnen und die Lösungsfindung wird erleichtert.

Sie erwähnten vorhin ein Parlament. Bei einer Gemeinde mit über 10’000 Einwohnenden – wie das beispielsweise im Rotbachtal der Fall wäre – könnte das sinnvoll sein. Aber: Würde das das grassierende politische Desinteresse nicht sogar noch fördern?

Das ist schwierig zu sagen. Generell denke ich nicht, dass die sogenannte Politik-Verdrossenheit direkt mit dem Bestehen eines Parlaments zusammenhängt. Das ist wohl leider dem gesellschaftlichen Wandel geschuldet. Was ich aber sagen kann: In einer grösseren Gemeinde wird das Desinteresse sicher nicht kleiner, eher grösser.

Warum das?

Nehmen wir unsere Gemeinde als Beispiel: Hier kommen heute auf 6500 Einwohnende 7 Gemeinderäte. Damit lassen sich die einzelnen Weiler und politischen Haltungen des Dorfes noch abdecken. Aber bei einer Gemeinde mit über 10’000 Einwohnenden, die sich über mehrere Dörfer erstreckt? Wohl eher nicht.

Und dabei reden wir noch gar nicht über die geographischen und topographischen Eigenheiten.

Genau. Diese sind auch sehr wichtig. Insbesondere wegen der angesprochenen lokalen Umstände. Wenn wir beispielsweise über ein neues Schulhaus hier in Teufen reden, kennen wir alle nötigen Details und Herausforderungen – das gilt für die Verkehrssituation, die Schülerzahlen, die Immobilien und, und, und. Aber fragen Sie mich nur schon über die Situation in Speicher: Ich wüsste nicht in allen Details Bescheid.

Sie haben ja bereits während des FDP-Podiums erklärt, warum Teufen nicht auf eine Fusion angewiesen ist. Können Sie nachvollziehen, dass sich andere Gemeinden gerne zusammenlegen würden?

Selbstverständlich. Und das ist ein ganz wesentlicher Punkt: Fusionen sollen möglich sein. Deshalb müssen die Gemeindenamen auch aus der Verfassung gestrichen werden. Nur dann ist eine Fusion ohne Anpassung der Verfassung überhaupt möglich. Es gibt durchaus Gemeinden, die Fusionen anstreben und bei denen solche auch sinnvoll sind. Für sie soll der Weg bereitet werden – inklusive der nötigen Unterstützung. Nicht nur finanziell, sondern auch bei Planung und Umsetzung.

Der Regierungsrat spricht im Abstimmungskampf von «Strukturwandel». Ist das das richtige Wort? Schliesslich werden bei Fusionen die grundlegenden Strukturen nicht verändert, bloss die Grenzen verschoben. Etwas ketzerisch gefragt: Müssten wir nicht überdenken, wie wir auf kommunaler Ebene organisiert sind? Es gibt ja noch andere Lösungsansätze.

Das ist nicht ketzerisch. Es gibt durchaus verschiedene Lösungsansätze für die Herausforderungen, mit denen kleine Gemeinden zu kämpfen haben. Denn diese sind eine Realität: steigende Anforderungen an die Verwaltung, Personalmangel etc.. Ein solcher Ansatz sind zum Beispiel Kooperationen mit anderen Gemeinden – wie wir sie hier im Mittelland auch pflegen. Beispielsweise beim Grundbuchamt. Das ist einer der Gründe, warum ich mich für die Erarbeitung eines Fusionsgesetzesentwurfs bzw. Planungsberichts einsetze. Damit würde die Grundlage für eine breitere Diskussion geschaffen.

Es gibt auch Stimmen im Kanton, die gerade die «reicheren» Gemeinden wie Teufen und nicht die «armen» zu Fusionen bewegen wollen.

Das ist ein gutes Stichwort: arm. Es ist ein Irrglaube, dass man mit Fusionen sehr viel Geld sparen könnte. Die Gemeinde hat dann nämlich noch genau gleich viele Strassen oder Leitungen – die Infrastruktur-Aufgaben bleiben. Klar: Man könnte Verwaltungen und Schulen zusammenlegen. Aber ob das überall sinnvoll ist?

Darüber liesse sich bestimmt diskutieren. Aber was ist mit Heirat zwischen «arm» und «reich»?

Ich bin generell nicht gegen Fusionen. Aber sie sollten freiwillig und aus der Basis heraus entstehen. Klar ist auch, dass es bei der Zusammenlegung einer strukturstarken und -schwachen Gemeinde zu einer Angleichung kommen wird – und die Bewegung geht da sicher eher nach unten.

Die Abstimmung vom 26. November folgt rasch auf die Wahlen. Ausserdem ist es eine komplexe Vorlage. In solchen Situationen ist das Stimmvolk oft skeptisch. Kommt es vielleicht sogar zu einem doppelten Nein?

Das ist sehr schwierig zu beurteilen. Ganz ausschliessen kann ich es auf jeden Fall nicht. Ich hoffe aber, dass es nicht passiert. Denn mit einem doppelten Nein ist niemandem gedient. Wir müssen etwas verändern.  tiz

In Teufen fanden bereits zwei Podien zur anstehenden Fusionsabstimmung statt. Eines wurde von der SVP (kantonal) und eines von der FDP Teufen organisiert. Die TP wollte deshalb von den Präsidenten der Ortsparteien wissen: Was ist Ihre Abstimmungsempfehlung?

Marco Sütterle, KR & Präsident FDP Teufen (persönliche Empfehlung):

Keine Parteimeinung

Bei diesem Statement von Marco Sütterle handelt es sich um dessen persönliche Einschätzung – nicht die der Partei. Dieser Eindruck konnte beim Lesen der Printversion fälschlicherweise entstehen.

Aus dem Kantonsrat kann ich das identische Feedback geben, wie aus der Gemeindepräsidienkonferenz zu vernehmen ist: Niemand in unserem Kanton hat ein Interesse daran, Teufen zu schaden. Dies ist ein Versprechen, denn gleichzeitig wird auch den darbenden Gemeinden versprochen, dass der Geldhahn nie abgedreht wird und sie jährlich mit der Mindestausstattung rechnen dürfen: Egal wie sie sich strukturieren und aufstellen, Teufen & Co. müssen bis zum Sankt Nimmerleinstag unterstützen. Deshalb ist es gerade im Interesse von Teufen, dass mit dem regierungsrätlichen Gegenvorschlag von 3 bis 5 Gemeinden die Optimierung der ausserrhodischen Gemeindestruktur allesamt und ausnahmslos von allen 20 Gemeinden miteinander angegangen wird und nicht unkontrolliert erratisch. Nicht je nach Gutdünken und Bereitschaft der jeweiligen Gemeindebehörden, die sowieso sehr klein ist, denn wer will sich schon selbstkritisch auseinandersetzten und optimieren oder möglicherweise gar selbst abschaffen? In unserem Kanton braucht es Veränderung und gerade auch eine Restrukturierung und Professionalisierung der meisten Gemeindeverwaltungen. Teufen muss dabei aus seiner beispielhaften Position der Stärke die gesamtheitlichen Optimierungsmassnahmen gehörig mitbestimmen, und darf sich nicht davor verschliessen und die Verantwortung nicht einzelnen anderen Gemeindebehörden nach deren Belieben überlassen. Deshalb «Ja» zum Gegenvorschlag.

Felix Leu, SP Teufen:

Die SP Mittelland spricht sich für 3 bis 5 Gemeinden aus. Teufen könnte alle anderen Mittellandgemeinden stärken, indem diese Dörfer dank eines tieferen Steuerfusses attraktiver für Menschen und für das Gewerbe werden. Eine Gemeinde Mittelland hat immer noch einen tiefen Steuerfuss und mehr Raum, während in Teufen Bauland fast nicht zu finden ist. Ein «Ja» zu Fusionen ist nachhaltiger als Zahlungen in den Finanzausgleich. In Teufen wird der Steuerfuss zwar steigen, aber die Vermögenden werden deshalb nicht gleich wegziehen. Die Angst vor Steuerabflüssen war schon bei der Abschaffung der Pauschalbesteuerung unbegründet. Der Kanton war dafür, Teufen dagegen. Aus Teufner Perspektive war das Abstimmungsergebnis ein «Zwang von oben» – aber Teufen konnte seither den Steuerfuss von 3.0 auf 2.6 senken. Teufen ist wohl stark, aber nicht alleine unterwegs. Wir arbeiten in etwa 30 Bereichen mit umliegenden Gemeinden zusammen. Blicken wir über den Tellerrand, nutzen das gemeinsame Potenzial und machen so einen mutigen Schritt in die Zukunft!

Fredy Bressan, SVP Teufen:

Die Parteileitung hat bereits frühzeitig entschieden, dass nach dem öffentlichen Podium, eine möglichst breite Meinungsbildung stattfinden soll. Entsprechend wurde eine Urabstimmung durchgeführt. Die Eventualvorlage (Fusionen von unten) erhielt die Mehrheit der Stimmen. Der Eventualvorschlag ist im Grundsatz sehr freiheitlich ausgestaltet, so streicht er die Namen der Gemeinden aus der Verfassung. Danach können sich fusionswillige Gemeinden zusammenschliessen, ohne dass es eine kantonale Abstimmung geben muss. Dabei leistet der Kanton administrative und finanzielle Unterstützung. Das heisst, die betroffenen Gemeinden (Bevölkerung) können selber entscheiden. Um Fusionen künftig zu unterstützen, würde die Regierung ein Fusionsgesetz erlassen. Diese Vorlage unterstützt nun die SVP AR mit der gefassten Parole. Der Gegenvorschlag der Regierung geht hingegen sehr viel weiter. Wird der Vorlage zugestimmt, werden die Gemeinden zu neu drei bis fünf fusioniert. Die Gemeinden haben kein Mitspracherecht mehr, ob sie fusionieren wollen, sie müssen. Daher spricht man auch von Zwangsfusionen, die bevölkerungsstarken Gemeinden können die kleinen im Grundsatz überstimmen. Dieser Fusionsprozess würde grundsätzlich vom Kanton geführt, dabei ist unklar ob unser Kanton aus 3, 4 oder 5 Gemeinden besteht. Weiter ist offen, wie das neue Gemeinde-Gebilde ausgestaltet und welche finanziellen Auswirkungen für die Ausserrhoder Bevölkerung erwachsen würden.

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