«Leere Ladenlokale sind wie ein Fiebermesser»

03.10.2013 | Erich Gmünder
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Unseren beiden Gesprächspartnern ist ein Berner und ein Zürcher Schnabel gewachsen. Die Urdorferin Katja Diethelm folgte 1998 ihrem Herzen, als sie in Teufen im Brillehus eine Stelle als Optikerin antrat und 2000 zusammen mit ihrem Mann Roland Diethelm das elterliche Geschäft am Dorfplatz übernahm. Die Familie mit zwei Kindern wohnt in den oberen Stockwerken. Der gebürtige Berner Oberländer Hanspeter Michel und seine Frau Claudia Michel-Goetz, eine Zürcher Oberländerin, hatten sich an der Höheren Fachschule für Drogisten kennen- (und lieben) gelernt. 2009 übernahmen sie die Drogerie von Urs Wetzel, den sie durch berufliche Kontakte schon länger kannten. Im Juli dieses Jahres wurden sie Eltern eines Sohnes. Sie leben einen Steinwurf vom Dorfplatz entfernt an der Gremmstrasse. Fotos: Erich Gmünder

 

«Mit grosser Sorge» hat der Teufner Drogist Hanspeter Michel auf die Tatsache reagiert, dass im ehemaligen Heimtextiliengeschäft von Heidi Solenthaler nach dem Umbau ein Immobilienbüro einziehen wird. Wir haben mit ihm und seiner Kollegin Katja Diethelm vom Brillehus gesprochen.

 

Was hat das ausgelöst, als ihr erfahren habt, dass hier ein Immobilienbüro reinkommt?

Hanspeter Michel: Ich bin enttäuscht, dass nicht jemand kommt, der das Dorfleben bereichert und für mehr Passanten im Dorf sorgt. Wenn man die Häuserzeile vis-à-vis anschaut, dann haben wir mit Landleben und dem Dorfbeck gerade noch zwei Geschäfte. Zwei Lokale stehen momentan leer und eines wird aus meiner Sicht unglücklich besetzt.

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Was hättet ihr euch gewünscht?

HPM: Ich hätte mir idealerweise ein Verkaufsgeschäft gewünscht oder einen Dienstleistungsbetrieb, der täglich Frequenz bringt. Vielleicht nicht noch eine dritte Drogerie … (schmunzelt)

Zum Beispiel?

Katja Diethelm: Mein Traum war auch etwas, das Frequenz bringt, und zwar dem ganzen Dorf. Nicht etwas, das wir schon haben, mit unseren drei Blumengeschäften, zwei Metzgereien, den Bäckereien … Zum Beispiel Comestibles, mit feinem Käse, mit einer Kaffeeecke, einem Treffpunkt, wo man sagt, da gehe ich jetzt hin und treffe interessante Leute. Da hätte es sicher ein grosses Potenzial an Kunden, es geht ja um Genuss, und es geht um Leute.

Was wäre denn für euch der ideale Ladenmix für Teufen, was fehlt?

HPM: Glücklicherweise jammern wir immer noch auf sehr hohem Niveau. Im Vergleich zu anderen Dörfern verfügt Teufen über einen attraktiven, vielseitigen Ladenmix. Mit Ausnahme von Schuhen – leider – kann man jedes Bedürfnis im Dorf abdecken, vielleicht nicht mit einer Riesenauswahl, aber zum Überleben ist eigentlich alles vorhanden. Mit dem Migros- Neubau und dem neuen Spar ist der Grundbedarf abgedeckt. Die Metzgerei Breitenmoser hat sich mit dem Anker zu einem wahren Magneten entwickelt. Das freut mich sehr, das behält auch die Leute im Dorf.

KD: Kinderkleider, das wäre auch etwas Gutes, es sollte einfach nicht im Luxusbereich sein. Oder ein Schuhladen, wie wir das früher hatten an der Speicherstrasse, damit vor allem auch die älteren Leute nicht extra in die Stadt müssen oder nach Appenzell.

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Trotzdem warnen Sie davor, dass der Dorfkern «tötelig» wird.

HPM: Wir müssen schauen, dass das Zentrum nicht verödet. Mit dem Umzug der Kantonalbank verschwindet auch der Bankomat, ein Teil der Frequenz wandert mit der Kantonalbank zur Migros. Immerhin kommt das den Geschäften dort zu gute. Im Dorfzentrum braucht es aber auch Betriebe, welche Laufkundschaft haben, und ihr Tagesgeschäft nicht nur über Telefon und Internet abwickeln. Wenn wir ein Zahnlückendörfchen haben, wird es schwierig, neue Gewerbler zu gewinnen. Leere Ladenlokale sind wie ein Fiebermesser, der zeigt: wie fit ist eine Gemeinde, wie fit ist ein Dorf.

Der alte Standort vom Spar ist auch immer noch frei …

HPM: Ja, da habe ich mich persönlich bemüht. Bei Denner etwa hat es geheissen, wir kennen das Lokal, das wäre ein guter Standort, aber unbezahlbar … Und wenn es ein Denner nicht vermag, in Teufen einen Laden zu betreiben, dann stimmt einfach etwas nicht!

Müsste der Gewerbeverein aktiv werden?

HPM. Wir haben das mehrmals im Vorstand diskutiert, aber letzten Endes hat auch der Gewerbeverein keine Handhabe, der Vermieter entscheidet.

Ihr arbeitet nicht nur im Dorf, ihr lebt auch hier. Wie ist die Lebensqualität, die Aufenthaltsqualität im Dorf?

HPM: Ich finde Teufen äusserst attraktiv, es bietet wirklich alles, sowohl landschaftlich, aber auch hervorragende Infrastrukturen und ein vielfältiges Vereinsleben – von der Bach-Kantorei bis zum Turnverein.

KD: Ich finde auch, Teufen hat Lebensqualität, absolut. Ich gehe über Wochen oder gar Monate nicht in die Stadt, weil ich hier alles bekomme, was ich brauche. Aber der Level ist auch sehr hoch. Ich kann in Teufen jedes Instrument lernen, ich kann jede Sportart ausüben, ausser Schwimmen und Tennis. Wir sind eigentlich wirklich wunschlos glücklich.

Was heisst das?

KD: Zeughaus, Schulhäuser, Altersheime: alles ist vom feinsten. Wenn ich sehe, wie oft der Brunnen geputzt wird, wöchentlich, das habe ich noch nirgends gesehen.

Viele empfinden den Verkehr im Dorfkern als gefährlich und wollen deshalb die Bahn im Tunnel verschwinden lassen. Was sagen Sie zum neusten Anlauf der IG Dorfplatzgestaltung?

KD: Ich finde das positiv, ein Riesenkompliment an Barbara Ehrbar, dass sie den Mumm hat, und sagt, so, wir geben nicht auf, wir kämpfen weiter. Ich finde das fantastisch, und es zeigt: Zusammen sind wir ein starkes Dorf.

HPM: Die Diskussion mit Stadtbaumeister Eberhard hat neue Aspekte gezeigt. Das Tram verspricht auch ein neues Dorferlebnis: man kann schauen, wer drin sitzt, man kann rausschauen, man kann den Touristen, die nach Appenzell fahren, zeigen, dass wir auch ein schönes Dorf haben.

Sympathien für die Doppelspur?

KD: Ja, ich sehe das Trämli auch als Chance. Warum nicht eine oder zwei neue Stationen einbauen? Da wäre man mit der Bahn nicht nur schneller in St. Gallen, sondern auch schneller von der Lustmühle oder Niederteufen bei uns im Dorf.

HPM: Die Diskussion in der IG Dorfgestaltung zeigt einfach, dass der Blickwinkel noch einmal erweitert werden muss und alle Pro und Kontra gegeneinander abgewogen werden sollten.

Wäre das Tram sogar besser zur Erschliessung des Dorfes?

HPM: Ich denke, ein häufigerer Takt mit mehr Haltestellen könnte auch zu einer Belebung führen. Das alleroberste Ziel muss sein, dass der Dorfplatz für die Mehrheit der Menschen attraktiv ist. Es ist nicht damit getan, dass der Steuerzahler uns einen wunderbar gestalteten Dorfplatz hinstellt. Das ist natürlich auch ein Appell an uns Gewerbler selber, dass wir mit einem attraktiven Auftritt auch dazu beitragen.

Und was wäre das?

HPM: Es gäbe einfache Möglichkeiten, wie der Dorfplatz attraktiver gestaltet werden könnte. Z.B. mit der Aufhebung der Parkplätze vor der Ilge, damit dort ein Strassencafé entstünde. Da hätten wir mit wenig Aufwand schon viel erreicht.

KD: Wir dürfen nicht warten, bis eine Lösung für die Dorfplatzgestaltung kommt. Wir müssen jetzt aktiv sein.

Fühlt ihr euch von der Gemeinde genügend unterstützt?

HPM: An der Unterstützung durch die Gemeinde mangelt es wirklich nicht, z. B. an der Tüüfner Adventsnacht. Da übernimmt die Gemeinde etwa die Kosten für die Sperrung des Dorfverkehrs und den Bahnersatz.

KD: Wenn wir eine Unterstützung brauchen von der Gemeinde, dann bekommen wir sie. Für die Ladensituation sind wir selber verantwortlich, das ist unsere Geschichte. Wir können das nicht auf die Gemeinde abschieben.

Das Interview führten Erika Preisig und Erich Gmünder

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An bester Lage, wo Heidi Solenthaler Heimtextilien und Geschenksartikel verkaufte, zieht anfangs Oktober eine Immobilienfirma ein. Die Liegenschaft gehört dem früheren Inhaber der Dorfbäckerei Manser.

 

«Besorgniserregend»

«Mit grosser Sorge beobachte ich die Entwicklung der Ladenlokale in Teufen. Zu den ehemaligen, jetzt leerstehenden Lokalen von Spar und Weinkabinett gesellt sich nach dem Umzug wohl auch dasjenige der Kantonalbank. Auch die Neuvermietung der einstigen Solenthaler- Räumlichkeit an ein Immobilienbüro befremdet. Die Aussicht, dass Lokale in Teufen – teils bedingt durch astronomische Mietforderungen wie im ehemaligen Spar – entweder leer bleiben oder an ‹pflegeleichte› Dienstleistungsunternehmen vermietet werden, ist besorgniserregend. Die immer wieder kolportierte Schlafgemeinde wird so eines Tages Tatsache.»

Aus einem Mail von Hanspeter Michel an die Tüüfner Poscht. 

 

 

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