Martin Benz (links) legt die Blätter zum Druck der zweiten von fünf Farben in die ca. 135-jährige sog. Steindruck- Schnellpresse ein. Urs Graf von der Druckwerkstatt Speicher steuert und überwacht die Entstehung der Lithographien. Foto: SZ
Sepp Zurmühle
Kisten aus Holz, Foto-Planfilm im Dunkeln, die Sonne kann jeweils durch eine winzige Öffnung ins Innere dringen. Ihre Strahlen malen magisch, Zeitabschnitte der Realität, wie Einzelbilder eines Films, farbig übereinander geschichtet, durchscheinend …
Die Lesegesellschaft unter Leitung von Daniel Ehrenzeller erteilte den Auftrag zur Gestaltung des Neujahrsblattes 2016 an Martin Benz. Geboren 1971, wuchs er in Rorschach auf, wo er später das Lehrerseminar abschloss. Seine erste Stelle als Primarlehrer führte ihn 1993 nach Teufen ins Schulhaus Hörli. Dort unterrichtete er Mittelstufenschüler von der 4. bis zur 6. Klasse.
Von 1998 bis 2002 absolvierte Martin Benz das Musikstudium in Luzern mit den Schwerpunkten Chorleitung, Schulmusik und Klarinette. Heute amtet er an der Musikschule Appenzeller Mittelland (MSAM) als Klarinettenlehrer. Bereits seit 2002 arbeitet Martin Benz an der Heilpädagogischen Schule (HPS) in St.Gallen und wohnt im Bächli.
Faszination Loch-, bzw. Schlitzkamera
Schon in der Zeit als Lehrer experimentierte Martin Benz zusammen mit seinen Schülern mit einfachen, selber gebauten Kameras. Heute verwendet er meist Lochkameras für Grossbild-Dias im Format 20 x25 cm. Durch ein kleines Loch von ca. 0.5 mm Durchmesser oder einen Schlitz dringt das Sonnenlicht ein und trifft auf ein Foto-Filmblatt gegenüber der Öffnung. Je nach Lage des Lochs an der Kamerafront, je nach Länge der Belichtungszeit und Art der eingebauten Filter entstehen sehr unterschiedliche Bilder.
Fotografie im ursprünglichen Wortsinn heisst: «Zeichnen oder malen mit Licht». Genau das interessiert Martin Benz. Doch Lochkameras benutzt der Fotograf vor allem wegen ihrer technischen Möglichkeiten und nicht aus nostalgischen Gründen. Ihn beschäftigen gesellschaftspolitische Fragen.
So installierte Martin Benz 2007, als die Videoüberwachung in St.Gallen eingeführt wurde, eigene «Camera obscura» zu den offiziellen Geräten. Während mehreren Stunden liess er das Licht in seine Kameras dringen.
Im Gegensatz zu den Videokameras zeigen seine Bilder schöne, saubere, erstaunlicherweise aber menschenleere Orte. Seine Lochkameras bilden nur starre oder sich kaum bewegende Objekte ab. So erscheint der «pulsierende» Marktplatz an einem Samstag klar und deutlich, aber menschenleer, einzig die Fahnen an Fassaden zeigen leichte Bewegungen.
Vergängliches dokumentieren, Flächen gestalten
Benz interessiert der Vorgang, den er mit dieser Verdichtung von Zeit und Handlung in einem Bild festhalten und dem Betrachter zeigen kann. Die Loch- und Schlitzkameras haben trotz ihrer einfachen Bauart erstaunliche Eigenschaften, die Benz für seine Werke nutzt. So weisen die Bilder eine totale Winkeltreue auf und haben keinerlei Verzerrungen wie Linsenkameras. Sie erlauben überdies sehr lange Belichtungszeiten von bis zu mehreren Monaten.
In seinem Projekt «Rückbau» befasst sich Martin Benz mit Veränderungen in urbanen Räumen. Abbrucharbeiten von (Industrie-)Gebäuden dokumentiert er jeweils in einem einzelnen Bild. Die Umrisse des Abbruchobjektes sind noch schwach sichtbar, während ein Teil des Erdgeschosses klar erkennbar ist und die oberen Geschosse schon transparent wirken, weil sich der Hintergrund langsam aufs Fotopapier brennt.
Die Bagger sind vor allem in Stillstandzeiten in unterschiedlichen Positionen erkennbar. Es entsteht «eine Art Film im Einzelbild», mit einem Röntgeneffekt, und dies in erstaunlicher Bild- und Farbqualität.
Im Projekt «Farbkataster» fotografiert Benz mit relativ langen Belichtungszeiten bei Zugfahrten quer durch Landschaften in definierten Belichtungs-Rhythmen. So entstehen regionenspezifische Farbstreifen und Farbfelder. Wie im Leben: Das Sichtbare zeigt Fragmente einer Realität.
Präsentation in der Bibliothek
An der Enthüllung des Neujahrsblattes 2016 erfahren Sie mehr darüber, wie Martin Benz den Blick über Teufen mit seiner Kamera eingefangen und in Form einer Lithographie gestaltet hat. Am Samstag, 5. Dezember um 11.00 Uhr wird Martin Benz das Neujahrsblatt 2016 in der Gemeindebibliothek enthüllen und Hintergrundinformationen zu seinem Schaffen offenbaren. Ein Neujahrsblatt kostet wie gewohnt 100 Franken.